Plötzlich sitzen dir da Menschen gegenüber:

Nach der Flucht die große Hoffnung


Mit den täglichen Nachrichten vom Flüchtlingsstrom kehren sie wieder zu uns zurück; Drangsale einer Gefühlswelt, die wir mit dem Ableben der Großeltern längst aus dem Alltag verabschiedet hatten: Angst und Krieg, Vertreibung, Flucht und Not und Tod. Und in der Flut der Schreckensbilder droht das


Mitgefühl zu ertrinken. Man mag es nicht mehr sehen, man mag es nicht mehr hören. Der ganz normale Selbstschutzreflex.

Und dann auf einmal sitzt dir einer gegenüber, und plötzlich bekommt das Heer der Heimatlosen ein Gesicht.


Erst die Flucht, nun die großen Hoffnungen. Bewohner der Wiesenstraße: Dr. Sahir Abudja (li),  Ridwan Murat (re).  Saad Almwas (2.v.l.) möchte am liebsten wieder zurück. (Bild: k.s)
Erst die Flucht, nun die großen Hoffnungen. Bewohner der Wiesenstraße: Dr. Sahir Abudja (li), Ridwan Murat (re). Saad Almwas (2.v.l.) möchte am liebsten wieder zurück. (Bild: k.s)

Als Ridwan die Wohnungstür öffnet hat er so einen Wischfeudel in der Hand und reinigt gerade den Laminatboden. Aber da wissen wir noch nicht wie er heißt. Wir wissen gar nichts über das Flüchtlingsheim in der Wiesenstraße . Deshalb sind wir ja hier. - Aber eigentlich wollten wir uns das Heim nur mal so anschauen: Wie viele wohnen da?, wie leben sie?, ist es sauber usw. - So antworten wir auf die freundliche Anfrage des Bewohners mit Händen und Füßen, dass wir Herrn Hauschild suchen. Der soll uns das Haus zeigen. Herr Hauschild heisst der von der Gemeinde bestellte Kümmerer. Den kennt er aber nicht. Komischerweise.


Was also heißt Kümmerer auf Arabisch? "Herr Hauschild, Cheffe hier". Fünf weitere Männer, die jetzt mit im Flur stehen sind sich einig: den kennt keiner. Bis einer die Erleuchtung hat: "Rolf fragen?" - Ja, genau. - Herr Hauschild heißt Rolf, dass weiß ich. Der ist aber nicht da. Und doch ist Rolf unser Türöffner: "AAAhhh Roooooolf, serr guttt Mann." - Das finden alle und schon sind wir drin in der Wohnung. Ob wir wollen oder nicht. Eigentlich wollten wir ja nicht. Aber das lässt sich jetzt nicht mehr ändern. 

Das Heim in der Wiesenstraße.  (Bild: k.s)
Das Heim in der Wiesenstraße. (Bild: k.s)

In der kleinen Küche brutzeln Zwiebeln in einer Pfanne auf dem Herd. Gerade frisch besorgt bei den Helfern der Tafel im katholischen Gemeindehaus. Auch das Gemeinschaftsbad wirkt zweckmäßig.


Alles wirkt picobello sauber hier. Warum bitte fällt uns das zuerst auf? - Und warum bitte wundert es uns? Zehn Betten im Doppelstock erzählen von der Zahl der Mitbewohner. Je vier und sechs in zwei unterschiedlich großen Zimmern. Es geht eng zu, aber dennoch geräumiger als wir erwartet haben. Einer schläft noch und lässt sich durch uns nicht weiter stören. Warum auch, wenn man eh nicht arbeiten darf? Schränke gibt es keine. Kleidung und Habseligkeiten müssen über den Stühlen liegen. Dennoch, mit der Wohnsituation scheinen alle soweit zufrieden. Auf den ersten Blick wirkt auch alles gut in Schuss.


Ja, und während wir die Wohnung beschnuppern, wird im kleineren Wohnraum aufgefahren was die Obstkisten der Tafel hergeben. Bonbons waren heute da. Dazu gibt es Tee, so zuckersüß, es zieht einem die Schuhe aus. - Hier könnte die Geschichte zu Ende sein, wir könnten uns zurücklehnen und als gute Gastfreunde fühlen, aber natürlich sie fängt erst an. Drei Männer wollen nun ihre Geschichten erzählen und die handeln von Bildern die man aus dem Fernsehen kennt. 

Da sitzt Dr. Sahir Abudja, ein Arzt aus Syrien, der noch nicht lange da ist. Er spricht nur sehr rudimentäres Englisch, von deutsch ganz zu schweigen. Ein frustrierender Versuch für beide Seiten. Da sitzt einer, der gern erzählen möchte, aber wie soll man mit Händen und Füßen seine Gefühle, Flucht und Verlust beschreiben? 


Ähnlich geht es uns mit Saad Almwas, einem jungen Kurden mit traurigem Gesicht. Seine Mutter wohnt in der Türkei und ist nun sehr krank geworden. Saad will so schnell es geht zu ihr. Leider hat er keinen Pass und er bekommt derzeit keinen neuen - eben weil er keinen hat. -  Wenige Tage später macht sich Marion Reinecke mit ihm auf den Weg nach Gummersbach um ihn nochmals durch den Dschungel der Kreisbehörden zu lotsen. Sie ist beim Nümbrechter "Lenkungskreis Flüchtlingshilfe" für die Vermittlung von Dolmetschern zuständig. Wir werden sehen ob es hilft und ggf. an dieser Stelle darüber berichten.


Der dritte Mann am Tisch heißt Ridwan Murat, ein Sprach- und Literaturwissenschaftler. Er kommt aus aus Qamishli im Nordosten Syriens an der Grenze zur Türkei. 14 Jahre hat er an der Universität Damaskus arabische Sprache und Literatur gelehrt. Seit mehr als zwei Monaten ist er nun in Deutschland, um für seine Familie eine neue Heimat zu finden. Stolz zeigt er seine Handyfotos vor: Die Frau, zwei Jungen von neun und drei Jahren, seine sechsjährige Tochter. Sie warten derweil in Syrien auf gute Nachrichten vom Vater. Derzeit kann er sie nicht liefern. (k.s)